Autor:
Christa Maria Buß, Ohlsbach
Alle Rechte beim Autor
Buchcover- und Landkartengestaltung:
Dominik Amann, Rosenheim
Ausgabe 2
2015
„Wie geht es dir?“
„Es geht mir gut. Die Wunde heilt, auch wenn ich immer noch das Schwarz darin spüre. Es pulsiert und will nicht weichen.“
„Das wird heilen. Dein Blau ist stark. Aber das habe ich nicht gemeint.“
Ich nicke und horche in mich hinein.
„Es war ein Schock, ihn heute zu sehen. Der Kampf. Seine Flucht. Rumia und ihre Rache… Und seine Macht. Seine uneingeschränkte Macht. Es war … „
„Es war beängstigend?“
„Ja, ich hatte keine Ahnung, wie stark man mit seiner Magie sein kann.“
„Du hast es selbst gespürt, nicht wahr?“
„Ja, es war so überwältigend. Es war … wir waren eins.“
„Gut.“ Und dann: „Du hast gut gekämpft.“
„Hab ich das?“
„Ja, auch wenn ich bisher niemanden so mit beiden Händen kämpfen gesehen habe. Ich werde dir noch ein zweites Schwert schmieden. Du solltest es probieren.“
„Ja, sicher. Warum hat Rangnar das getan?“
„Er sah keinen anderen Weg mehr. Tamalee hat von dir erfahren, von wem auch immer. Das werden wir noch herausfinden müssen.“
„Wie geht es ihm jetzt?“
„Er ist erschüttert. Ruthia macht ihm die größten Vorwürfe.“
„Raleiff ist schließlich jetzt von der Königin gefangen. Was wird sie mit ihm machen?“
„So lange er ihr nützlich ist, wird er am Leben bleiben. Wenn sie jedoch erfährt, dass der Hardkar tot ist, ist auch sein Leben verwirkt.“
„Und das weiß Ruthia.“
„Ja, alle wissen es. Wir müssen handeln.“
In der folgenden Nacht träumte ich furchtbare Dinge. Allein schon durch die Aufregung des ganzen Tages kam an diesem Abend keiner zur Ruhe. Im ganzen Gestüt, unten in Schneeheim und auch drüben in Wayfarten brannten die Feuer bis spät in die Nacht. Es wurde viel geredet und getrunken. In der Kleinen Halle jedoch war es ruhig gewesen. Eine bedrückte Ruhe, die keine Erleichterung brachte. Trotzdem hatten wir einiges getrunken und dabei ins Feuer gestarrt. Bullwaiss – wie immer nur Wasser- und ich. Kaaleb lag beim Feuer auf einem Feldbett. Kaum hatte der Hardkar seinen letzten Gedanken mit mir geteilt, war Kaaleb schreiend zusammengebrochen und hatte einen Anfall erlitten. Zitternd, um sich schlagend und rötlichen Schaum vor dem Mund, weil er sich auf die Zunge gebissen hatte. Bullwaiss war zur Stelle, konnte aber nur verhindern, dass sich Kaaleb in seinem Schmerz noch weiter verletzte.
Maraana hatte heute Abend nicht wie immer für das Essen gesorgt. Sie war nicht erschienen, hatte keinem etwas gesagt und sich in ihrem Haus neben der Kleinen Halle eingeschlossen. Gunter, sie trauerte um Gunter. Was jeder verstand und sie deshalb in Ruhe ließ.
Rumia hingegen war verschwunden. Sie hatte sich nach dem tödlichen Biss weiter über den Hardkar hergemacht. Zerfetzte ihn regelrecht. In ihrer unermesslichen Wut schaffte sie es sogar, Teile seiner Rüstung zu durchdringen. Nun, da er tot war, war auch der Schutz der Rüstung vergangen. Erst als Rangnar Rumia mit gezogenem Schwert von ihm wegjagte, wich sie zurück. Fauchend, die Ohren angelegt und mit ihren Pranken nach dem Schwert schlagend.
In diesem Moment begriff ich. Sie hatte gehofft, durch den Tod ihres Bruders den Bann brechen zu können und wieder menschlich zu werden. Mutter und Mensch. Diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Auch wenn sie bisher noch immer menschliche Züge an den Tag gelegt hatte, jetzt, in diesem Augenblick verlor sie den Rest davon. Das Tier in ihr war nicht mehr aufzuhalten.
Sie wich weiter zurück und Rangnar erzählte später, dass er sehen konnte, wie in ihren Augen Rumia allmählich verschwand. Sie fauchte, spuckte und hieb nochmals nach Rangnar. Dann, mit einem mächtigen Satz sprang sie zurück und rannte weg. Über die schmale Ebene bis zum Waldrand hin, auf dem Weg, den ich an jenem Morgen genommen hatte, als ich zum ersten Mal meinen Sworbattan gemeistert hatte. Dort blieb sie nochmals kurz stehen, sah zurück, direkt in meine Seele, nahm Abschied, und verschwand.
Es waren die Augen, die mich in den Schlaf verfolgten. Gunters Augen, die erstaunt waren und mir scheinbar noch ein Versprechen auferlegten. Die Augen des Hardkar, der bei seinem letzten Atemzug an meine Mutter dachte und dabei lächelte. Warm und völlig unerwartet. Und Rumia, deren gehetzter Blick mich nochmals traf, wie, um sich meine Gestalt einzuprägen. Gelbe und schwarze Augen. Geschlitzt und sich in mich bohrend. Sie schnitten in meine Gedanken, meinen Kopf und mein Fleisch. Mein Blau konnte sie nicht abwehren, auch wenn ich es noch so sehr herbeirief. Meine Hände brannten von den Versuchen, die dolchgleichen Blicke abzuwehren. Dann kamen noch andere Gesichter hinzu. Jakobs braune Augen, die immer warm und gelassen waren, nun jedoch missbilligend schauten. Blaue Augen, die meiner Mutter gehören mussten oder Viina. Und schließlich, als ich mich schaudernd von allen abwandte, blickte ich in ein weiteres Paar gelber Augen, die grün umrandet und gesprenkelt waren. Bei diesem Paar vergaß ich alle anderen Blicke hinter mir. Es war, als ob ich diese Person kannte. Ein überraschendes warmes Gefühl überkam mich. Und ich spürte, dass es meinem Gegenüber genauso erging. Ich ahnte ein Lächeln, auch wenn ich es nicht sah. Es waren die Augen einer Frau, dessen war ich mir sicher.
Da plötzlichen schrien Gunter, Rumia und sogar der Hardkar gequält auf. Laut und durchdringend, so dass mich ein eisiger Schauder überlief. Ich drehte mich um, wollte mich schützend vor die Frau stellen, aber sie schrien weiter, mit weit aufgerissenen Mündern und Augen. Schrien und schrien, so, dass meine Hände an die Ohren fuhren um sie zu schützen. Sie kamen näher und schrien mich nieder, ich sackte zusammen und legte die Arme schützend um mich. Geduckt und mich vor und zurück wiegend versuchte ich, dem grausamen Schreien zu entkommen.
Ich erwachte schweißgebadet und gleichzeitig frierend. Ich keuchte und meine Hände fuhren an meinem Körper auf und ab, wie um sich zu vergewissern, dass noch alles heil war. Mein Herz klopfte wild und ich musste mehrmals tief Luft holen, um meinen Herzschlag wieder zu beruhigen. Ich warf die klamme Decke zurück und trat ans Fenster. Die allerletzten Lichter waren erloschen, es musste sehr spät sein. Ich öffnete das Fenster und der Schwall kalter Luft ergoss sich über meine Haut und ließ mich frösteln. Es regnete und das leise Rauschen hatte etwas Beruhigendes, wofür ich dankbar war. Ich sah nach Osten und konnte erkennen, dass der Morgen nicht mehr weit sein konnte. Daher fasste ich den Entschluss, mich anzuziehen und hinaufzugehen zum Wayfart. Dort würde ich Ruhe finden, wie so oft.
Der Weg war schlammig und rutschig. Regenmond. Wir hatten Regenmond, der seinem Namen alle Ehre machte. „Wenn es einmal angefangen hat, hört es nicht mehr auf, bevor drei Zehntage vorbei sind. Wenn wir Glück haben“, hatte Stilgar gesagt und dabei auf den Boden gespuckt.
Im Wald tropfte alles, war nass und kalt. Der Regen drang bis auf den Grund, da die Bäume noch keine Blätter hatten. Mein Mantel war bald vollgesogen und wurde schwer. Trotzdem behielt ich ihn an, er schützte mich wenigstens vor dem schneidenden Wind. Ich duckte mich unter Ästen hindurch und bekam schmutzige Hände. Das Wasser lief an meinem Arm nach oben, wenn ich einen Ast über meinem Kopf hob. Es war kalt und unangenehm. Das Leder meiner Stiefel wurde dunkler, aber zumindest bleiben meine Füße trocken. Ich atmete leichter jetzt, da ich den Eindruck des verstörenden Traums abschütteln konnte. Diese Augen, sie verfolgten mich jedoch immer noch.
Als ich auf den Wayfart hinaustrat, wurden die Wolken im Osten heller. Ein seidiges Grau, das sich bauschte und vom Wind über den Horizont gejagt wurde. Das Meer warf hohe Wellen, weiß geschäumt und wogend. Kein gutes Wetter für einen Aufbruch.
Aber wir würden sowieso nicht über das Meer fahren. Ich musste mir Gedanken machen, wie wir weiter vorgingen. Wir mussten den anderen Häusern Boten schicken, um sie über den Tod des Hardkar zu informieren. Und sie daran erinnern, wem ihre Gefolgschaft nun gehörte. Ich schüttelte den Kopf. Was, wenn sie mir nicht folgten? Rangnar war sich sicher, dass nicht alle Häuser auf meiner – unserer- Seite stünden. Zu sehr hatte die Familie der Königin, die Tams, sie an sich gebunden. Mit Geschenken, mit Würden, mit Ländereien, mit Magie. Und – sie würden niemals meinen Anspruch auf den Thron anerkennen. Nicht einem Mischling, und vor allem nicht, um damit alle Vorzüge der Macht zu verlieren. Wenn sich die Häuser nicht zur Mehrzahl hinter mich stellten, oder sie sich nicht durchringen konnten, wem ihre Loyalität gehörte, würde es unweigerlich zum Krieg kommen. So oder so.
Mein Sworbattan brachte mich zur Ruhe. Nichts anderes hatte ich erwartet.
Ich seufzte und stach mein Schwert in den weichen, nassen Boden. Es knirschte leise, als die Klinge an einem Stein entlangfuhr. Ich beugte ein Knie und legte meinen Kopf wie zum Gebet auf meine Hände, die auf dem Knauf ruhten. So viel Verantwortung, so viel zu tun, so viel Verwirrung. Ich musste mich konzentrieren, spürte das Blau wie eine warme Decke um mich und atmete tief. Mein Herzschlag wurde ruhig und gleichmäßig. Ich versenkte mich in dieses Blau und fühlte es stark und gefestigt in mir. Zufrieden. Ja, das war ein gutes Gefühl. Das Grauen, das mich gepackt hatte, als ich die Männer bei dem Überfall gemetzelt hatte, hatte mich vieles gelehrt. Ich war daran gewachsen. Ich holte erneut tief Luft.
Der Regen lief an meinem Haar hinab, über mein Gesicht und tropfte von meiner Nasenspitze und dem Kinn auf den Boden. Ich vermisste die Wärme und das Lächeln von Nana. Sie hatte mein Haar immer geliebt. Und da ich es heute Morgen nicht zusammengebunden hatte, hing es in nassen Strähnen bis hinunter zu meinem Gürtel. Dicht und schwer vom Regen.
Ich musste an Loory denken. Loory war seit meinem Kuss, den ich ihr sanft aufgedrückt hatte in jener Nacht des Überfalls, völlig verwandelt. Ihre Verliebtheit in Edgar war erloschen. Was dieser erleichtert zur Kenntnis nahm. Er und Raalia hatten es schwer genug, da wollte er sich nicht auch noch mit Loory herumschlagen müssen. Ruthia hatte ihr Verhältnis entdeckt und wie erwartet rundweg verboten. Sie ging sogar so weit, Edgar das Betreten von Wayfarten zu verbieten und Raalia wurde nicht gestattet, das Gut zu verlassen. Ich grinste. Es würde mehr vonnöten sein, einen entschlossenen Edgar davon abzubringen, sich mit Raalia zu treffen. Zumal Beliga, die Schwester von Belgar und Raalias Zofe, ihnen dabei half. Täglich gingen Botschaften zwischen den beiden hin und her. Und mehr als einmal konnten sie sich treffen. Hinter der Küche in dem kleinen Vorratshaus. Im dem Haus, in dem das Ale gebraut wurde, einmal sogar auf dem Turm des Torhauses. Und wenn ich mich nicht irrte, hatten die beiden schon mehr als nur Küsse und Umarmungen getauscht. Edgar war in dieser Hinsicht plötzlich sehr verschlossen. Was mich zu der Einsicht brachte, dass er es wirklich ernst meinte und er deshalb keine anzüglichen Bemerkungen machte. Es war eine Sache zwischen den Beiden und ging keinen etwas an.
Loory hingegen hatte ihre glühende Leidenschaft für mich entdeckt. Jetzt konnte ich es Edgar nachfühlen, wie es ihm ergangen war. Ihre Aufmerksamkeiten und schmachtenden Blicke verfolgten mich überall im Haus. Und nicht nur dort. Die Stallburschen machten bereits ihre Witze darüber, was ich ihnen jedoch verbot. Loory war ein schüchternes, liebes Ding. Aber bei Weitem zu jung und unerfahren. Unschuldig. Den Spott hatte sie nicht verdient und ich ließ Loory deshalb auch gewähren und nahm sie gegenüber den anderen in Schutz. Trotzdem hatte Looran mir mit den Zinken der Mistgabel gedroht, wenn ich sie auch nur anrühren würde. Ein weiteres stichhaltiges Argument – in jeder Hinsicht.
Ich erhob mich und zog das Schwert aus dem Boden. Mit den Fingern fuhr ich die Klinge entlang und wischte den Dreck ab. Dann rieb ich das Schwert an meiner Hose ab und steckte es in die Scheide auf meinem Rücken. Bullwaiss arbeitete bereits an meinem anderen Schwert. Es würde etwas kleiner werden, kürzer. Aber er schmiedete es nur mit Hilfe des Farturioons. Keine Glut, kein Feuer. Nur seine Magie und sein Hammer. Es würde ein besonderes Schwert sein. Vereint mit meinem Hardringoon, das meine andere Klinge umschloss, würde ich ein Streiter werden, den es so noch nicht gegeben hatte.
Gerade wollte ich mich umwenden, als ich am Horizont ein Segel aufblitzen sah. Ein Segel? Ein Schiff? Unmöglich. Ich trat weiter nach vorne und beobachtete das […]